Jürgen Gerber, Mitarbeiter bei der vita perspektiv ag, ist überzeugt, dass klare Prinzipien und Werte die Grundlage bilden, um Unternehmen in eine solide und langfristig gesunde Zukunft zu führen. Als Berater und Trainer begleitet er KMU bei Übergängen von einer Führungsgeneration in die nächste.
Nachfolgen können im Frieden geregelt werden
Rund 90 000 kleine und mittlere Unternehmen in der Schweiz stehen kurz vor einem Generationenwechsel – und mit ihnen 500 000 Mitarbeitende, für die ein solcher Schritt mit viel Unsicherheit verbunden sein kann. Die Inhaberinnen und Inhaber hingegen stehen vor der Herausforderung, loszulassen und ihr Lebenswerk in neue Hände zu übergeben. Jürgen Gerber ist davon überzeugt, dass ein entsprechender Umbruch nicht mit Streitigkeiten und vielen Abgängen verbunden sein muss. Mit seiner Begleitung strebt er an, einen Wechsel vorausschauend, strukturiert und fröhlich zu gestalten, sodass alle profitieren. Dabei orientiert er sich an christlich-abendländischen Werten. Er strebt an, dass in Unternehmen das Level an Wertschätzung, Respekt, Versöhnung, Gerechtigkeit, Frieden und Ehrlichkeit steigt.
Gesund beginnen
Eine Nachfolgeregelung laufe bei jedem Unternehmen anders ab, es sei jedoch eine wichtige Voraussetzung, dass aufgeräumt wird, bevor eine neue Führungsperson ein Unternehmen übernimmt.
«KMU-Besitzerinnen und -Besitzer stehen für jeden Franken gerade. Das hat mit Vertrauen zu tun. Man muss den Menschen in die Augen schauen, einander trauen und Eigenverantwortung zeigen. Ein aufgeräumter Betrieb ist die beste Grundlage für eine gute Nachfolgelösung.»
Wenn die Menschen im Unternehmen am selben Strick ziehen, ist die Chance auf Gelingen viel grösser.
Den Menschen beachten
In erster Linie geht es um die Menschen, die im Unternehmen involviert sind. Es muss geklärt werden, welche Beziehungen hineinspielen, wo man unversöhnt ist und wo es Versöhnung und Einheit braucht.
Die vita perspektiv verwendet dazu das untenstehende Modell der inneren und äusseren Linie:

Dies zeigt sich auch in folgendem Beispiel:
Ein Unternehmen wird von mehreren Verwandten geführt, die es gerne ihrer Nachkommenschaft übergeben möchten. Es gibt eine ganze Gruppe von Interessenten. Allerdings gibt es sowohl bei der abtretenden als auch bei der antretenden Generation noch unterschiedliche Ansichten über den Zeitplan, Löhne, Anteile, Finanzierung der erforderlichen Ausbildungen oder über die Art, wie Erfahrung gesammelt werden soll. Der Prozess kann nur weitergehen, wenn die involvierten Personen gewisse Vorstellungen und Wünsche loslassen und sich aufeinander zubewegen.
Wenn die Beziehungsebene geklärt ist, kann damit begonnen werden, die Berufung von potenziellen neuen Führungskräften zu klären. Jürgen geht in seiner Begleitung der Frage nach, ob Leidenschaft, Charakter und Fähigkeiten eines Kandidierenden auf das anzutretende Profil passen. Gerade bei familieninternen Übergaben sei dies nicht unbedingt gegeben. Mit Gesprächen, Potenzialanalysen oder Persönlichkeitstests hilft Jürgen, ein Bewusstsein für die Vorstellungen des persönlichen Lebenswegs zu bekommen.
In einem Gespräch stellte Jürgen die Frage, wann sein Gegenüber am stärksten im Leben den Eindruck hatte, am richtigen Ort zu sein. Der 42-jährige Sohn des Inhabers, der bereits zwanzig Jahre im Betrieb seines Vaters arbeitete, antwortete: «Eigentlich noch nie.» Bis dahin hatte er jedoch auch noch nie den Mut gefunden, dies seinem Vater zu sagen. Von dieser Erkenntnis ausgehend, konnte ein sehr guter Prozess in die Wege geleitet werden: Zwei Geschwister, welche sehr wohl eine Vision für das Unternehmen hatten, konnten es übernehmen und er durfte sich im Frieden aus der Firma verabschieden.
Wenn eine Person gefunden wurde, mit der ein Übergangsprozess gestartet wird, sei es wichtig herauszufinden, was die Person braucht, um sich gut unterstützt zu fühlen. Niemand fällt in einen Zaubertrank und kann alles. Wir alle brauchen gegenseitige Ergänzung. Als Team können wir auch Herausforderungen gemeinsam tragen und überwinden.
Einer von Jürgens Kunden merkte in diesem Zusammenhang, dass er die Führung des Geschäfts nicht allein übernehmen wollte. Da niemand da war, mit dem er sie teilen konnte, wurde der Prozess auf Eis gelegt. Man dachte darüber nach, extern zu verkaufen. Zwei Jahre lang hatte Jürgen nichts mehr von ihm gehört, als er sich mit der Nachricht wieder meldete, einen passenden Wegbegleiter gefunden zu haben. Seitdem begleitet Jürgen die beiden dabei, in guter Zusammenarbeit das Geschäft zu führen.
Das Unternehmen gestalten
Parallel zur Klärung von Beziehungen, Berufung und Unterstützung sollte schrittweise geprüft werden, was das Unternehmen braucht und wohin es sich entwickeln will. Das Zentrale dabei sind Vision, Mission und Werte eines Unternehmens. Dabei ist es von enormer Wichtigkeit, schwarz auf weiss festzuhalten, wer man ist, was man will und was nicht – beispielsweise in Form eines Leitbilds. Das schafft einen Rahmen, Orientierung und damit Sicherheit.
In einem Beratungsgespräch fragte Jürgen die abtretenden Führungspersonen, was ihnen für die Zukunft wichtig sei. Die Antwort lautete, es sei klar, dass es «in ihrem Sinne» weitergehen soll. Was jedoch genau «in ihrem Sinne» meinte, war nirgends schriftlich festgehalten, weshalb Jürgen anstiess, die Kernwerte des Unternehmens auszuformulieren. Dabei wurde die alte sowie die potenziell nachfolgende Leitung einbezogen, was der älteren Generation die Gewissheit verschaffte, dass die Nachfolgenden verstanden, was ihnen wichtig war. Zudem konnte die jüngere Partei ihre Meinung einbringen und man einigte sich auf einen grossen gemeinsamen Nenner.
In einem nächsten Schritt werden konkrete Szenarien definiert, wie die Übergabe vonstattengehen könnte. Dabei orientiert man sich an den persönlichen Prioritäten der Unternehmerschaft. Ein Zeitrahmen wird festgelegt und man definiert, ob Unternehmensinteressen, Familienanliegen oder Vermögensoptimierung Vorrang haben. Der definierte Fahrplan wird dann mit der potenziellen Nachfolge angeschaut und man prüft, ob eine Lösung gefunden werden kann, die für beide Parteien stimmt. Dieser Prozess kann kurz sein. Es kann aber auch mehrere Runden beanspruchen, bis eine Übereinstimmung gefunden werden kann.
In einem von Jürgens Beratungsmandaten spielte man elf verschiedene Konstellationen durch, bis eine finale Entscheidung getroffen werden konnte. Zuerst sollten die Kinder eines Inhabers die Firma übernehmen, dann zwei Mitarbeitende, dann ein Externer, danach ein anderer ehemaliger Mitarbeiter, daraus wurden zwei, dann drei, dann vier, dann fünf etc. – schlussendlich waren es drei. Es war ein anstrengender Prozess, der sich aber überaus lohnte. Am Schluss stand man mit einer Lösung da, die in allen Punkten den Vorsätzen und anfangs definierten Grundsatzentscheidungen entsprach.
Wenn es dann konkret wird und die Teams zusammengestellt werden, ist es besonders wichtig, bestimmte Schlüsselpersonen miteinzubeziehen. Die sogenannte Scharniergeneration sind Mitarbeitende, die mit ihrem Know-how und Einfluss tragende Säulen der alten sowie der neuen Generation sind. Sie gestalten oft seit Jahren ein Unternehmen entscheidend mit und haben Werte sowie Kultur verinnerlicht. Oftmals sind solche Rollen historisch gewachsen und nirgends schriftlich definiert. Für solche Personen ist die Verunsicherung bei einer Übergabe der Unternehmensleitung besonders gross, da sie nicht wissen, ob sie ihren unausgesprochenen «Status» unter der neuen Führung behalten werden. Wenn sie nicht entsprechend miteinbezogen werden, ist die Chance gross, dass sie sich, und mit ihnen unbezahlbares Wissen, aus dem Unternehmen verabschieden.
Jürgen selbst stand einst in einer entsprechenden Situation. Er übernahm viele Managementaufgaben seines damaligen Vorgesetzten und es entwickelte sich eine stärkenorientierte Zusammenarbeit, ohne dass dies in seinem Stellenbeschrieb festgehalten war. Als dann eine neue Leitung kam, überlegte er sich, ob es an der Zeit wäre zu wechseln. Als er seine Verunsicherung ansprach, garantierte ihm die neue Leitung, dass selbstverständlich alles beim Alten bleibe. Es wäre für ihn mit viel weniger Stress verbunden gewesen, wenn dies von Anfang an hätte geklärt werden können.
Feierlich übergeben
Wenn alles geplant und bereit zur Umsetzung ist, braucht es einen bewussten, feierlichen Übergabeakt. Es ist von enormer Bedeutung, dass es einen Moment gibt, in dem die neue Leitung offiziell eingesetzt wird und sich die Belegschaft, vielleicht sogar physisch und damit symbolisch, hinter den neuen Kopf stellt. Die Mitarbeitenden dürfen nicht nur Beobachtende sein, die abwarten, ob sich die neue Führung beweisen kann. Damit würde eine Leitung mit grosser Wahrscheinlichkeit zu Fall gebracht.
Jürgen erzählt von einer Ergopraxis, in welcher es ein Meeting gab, in dem sich die ganze Belegschaft äussern und hinter die künftige Leiterin stellen konnte. Dieser Zuspruch war für die neue Inhaberin enorm wertvoll.
Bewusst weitergehen
Eine Nachfolgeregelung gilt dann als gelungen, wenn nach fünf Jahren noch dieselben Leute auf den betriebsrelevanten Positionen sind, das Unternehmen auf Kurs gehalten wird und fortwährend Gewinne erzielt werden. Die offizielle Übergabe ist somit nicht das Ende, sondern der Anfang. Zu Beginn herrscht bei der neuen Leitung meist keine Weltveränderungsmentalität. Die neue Inhaberschaft ist erst mal damit beschäftigt, in die neue Aufgabe hineinzuwachsen und Renditen zu erwirtschaften, um die Kapitalgebenden auszuzahlen. Wenn sie dann auf stabilen Beinen steht, kann sie investieren und Neues wagen. Damit dieser Prozess bewusst, vorausschauend und strukturiert ablaufen kann, benötigen Unternehmen Begleitung, wie die durch Jürgen. Dabei hat er neben der Strategieentwicklung einen bestimmten Fokus: Das Wichtigste sind die Menschen und die Beziehungen innerhalb der Leitung. Denn damit steht und fällt alles. Die besten Strategien, Visionen und Pläne werden hinfällig, wenn sich die Leitung verkracht. Die Beziehung ist ein grösseres Risiko als jede Rezession. Daher ist in jedem Gespräch die erste Frage: «Wie geht es euch im Miteinander?»
Jürgen Gerber lebt in Lyss und hat langjährige Erfahrung als Programm- und Schulungsleiter, Personalführer und -entwickler und Geschäftsleiter. Seit 2007 ist er als Berater in der Unternehmensentwicklung tätig und erlebt es als höchst erfüllend, durch die Arbeit mit Menschen und Organisationen einen Beitrag zur Ordnung und damit zum Frieden zu leisten. Seit 2012 ist er bei der vita perspektiv ag tätig und begleitet dort unter anderem Unternehmen in der Nachfolgeregelung.
ORIGINAL TEXT // MANUELA FASSBIND
Sie arbeitet bei Campus für Christus und in selbständiger Tätigkeit als Kommunikationsdesignerin.
KÜRZUNG // JÜRGEN GERBER